Nun ist also die erste Sitzung des Nationalrats in der neuen Sitzverteilung vorbei. In der vergangenen Periode wurde die von vielen als äußerst wünschenswert betrachtete Wahlrechtsreform zu Gunsten eines mehrheitsfördernden Wahlrechtes nicht beschlossen. Für eine solche Änderung des Wahlrechtes ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Die ehemaligen Großparteien ÖVP und SPÖ bringen nun in Summe diese Zweidrittelmehrheit nicht mehr zu Stande. Da kleinere Parteien normalerweise einer derartigen Wahlrechtsänderung nicht zustimmen, ist die Chance auf eine solche Änderung nun vorbei.
Die Stimmen der FPÖ, mit deren Hilfe eine Zweidrittelmehrheit möglich erscheint, wird man aber nur für ein solches Projekt bekommen, wenn die FPÖ selbst Chancen hat, dadurch allein an die Macht zu kommen, was vielleicht nicht unbedingt das ist, was man erreichen möchte.
Es gibt aber eine Wahlrechtskonstruktion, für die man die Stimmen auch der kleinen Parteien bekommen könnte. Es ist dies das Wahlrecht mit Listenkopplung. Das bedeutet, dass sich vor der Wahl zwei oder mehr Parteien zur Zusammenarbeit in einem Parlamentsklub einer gekoppelten Liste entschließen, wobei die Stimmen der Parteien zwar einzeln ausgezählt, aber dann zusammengerechnet werden.
Das hat mehrere Vorteile:
- Erstens hat der Wähler schon vor der Wahl eine Information darüber, wer mit wem zusammenarbeiten will, und kann so eine eindeutige Entscheidung treffen.
- Zweitens ist es ein Leichtes, ein Mandatvergebungssystem einzurichten, das bewirkt, dass die stärkste dieser Listen die absolute Mehrheit der Abgeordnetensitze erhält.
- Und Drittens – und deshalb könnten die Stimmen der kleineren Parteien für ein solches Projekt gewonnen werden – können den kleineren Parteien zwei Vorteile geboten werden: Da bei einem listengekoppelten Wahlrecht eine Beschränkung wie die jetzige Vierprozenthürde nicht erforderlich ist, könnte auch kleineren Parteien eine parlamentarische Vertretung gesichert werden (bei 100 Abgeordneten ab 1%, bei 183 noch weniger). Und darüber hinaus und als Hauptvorteil für diese Kleinparteien: eine gesicherte Regierungsteilnahme im Falle des Wahlsiegs des eigenen Bündnisses.
Polithygienisch käme noch ein weiterer, sehr wertvoller Faktor hinzu: Die Bündnisse würden in ihren Reihen zwar ein breites Spektrum vereinen müssen, aber sicher keine Extremisten, sei es links oder rechts, dulden. Und wer keinem Bündnis angehört, kann nur Parlamentssitze, aber keinen entscheidenden Einfluss gewinnen. (Es sei denn, eine alleinstehende Partei erzielt mehr Stimmen als das stärkste Bündnis).
Der von manchen Politikern als Nachteil empfundene Umstand, sich die Partner nicht erst nach der Wahl in Geheimverhandlungen ausmauscheln zu können, ist unter demokratischem Aspekt eher ein Vorteil. Jedenfalls wüsste der Wähler von vornherein, woran er ist. Und wenn sich ein Bündnis nicht bewährt, können die betroffenen Parteien vor der nächsten Wahl andere Bündnisse suchen – aber eben vor der Wahl!
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