(Von Gastautor Rainhard Kloucek, Generalsekretär der Paneuropabewegung)
Das „Paneuropäische Picknick“ war zweifelsohne ein historisches Ereignis. Es war aber gleichzeitig ein Übergang vom Totalitarismus zur Freiheit. Die inhaltliche Dimension des Picknicks darf nicht vergessen werden.
„Die Generation des Jahres 2000 könnte es erleben, daß die letzten wirklichen Kommunisten in demokratischen Ländern unbehindert existieren, während sie in den Volksdemokratien längst eingesperrt oder anderweitig neutralisiert worden sind.“ Im Jahre 1968 publizierte der nunmehrige Ehrenpräsident der Paneuropa-Union Dr. Otto von Habsburg diese Worte in seinem Buch „Politik für das Jahr 2000“. So wie der damals noch lebende Gründungspräsident der Paneuropa-Union Richard Coudenhove-Kalergi, war er überzeugt, daß der Eiserne Vorhang, die Jalta Grenze, die Europa nach dem Zweiten Weltkrieg in zwei Teile geteilt hatte, auf Dauer nicht haltbar sein werde.
Wenn wir nun 20 Jahre „Paneuropäisches Picknick“ und damit 20 Jahre Ende der Teilung Europas „feiern“, dann werden – sieht man von einigen privaten Symposien und Akademien ab – in den offiziellen Feiern und Diskussionen, die Ereignisse von damals einzig und allein aus der historischen Perspektive betrachtet. Das „Paneuropäische Picknick“ vom 19. August 1989, bei dem es zur ersten Massenflucht aus dem damaligen Ostblock kam (661 Bürger der sogenannten DDR konnten über Ungarn und Österreich in die Freiheit fliehen), hat aber gleichzeitig eine inhaltliche Dimension.
Damals fiel nicht nur der Eiserne Vorhang, es fiel auch ein totalitäres Herrschaftssystem. Es war eine Entscheidung zwischen Freiheit und Totalitarismus. „Wir müssen feststellen, daß eine Koexistenz zwischen Freiheit und Totalitarismus langfristig unmöglich ist. Wir müssen der totalitären Versuchung Widerstand leisten, unter welcher Maske sie auch kommen möge.“ Diese Worte formulierte die Paneuropa-Union bereits in einer Grundsatzerklärung in den siebziger Jahren.
Der Kampf um die Freiheit war eines der zentralen Themen der Paneuropa-Arbeit seit Gründung der Organisation 1922. „Ohne Freiheit wäre Europa ein Körper ohne Seele, eine künstliche und zerbrechliche Konstruktion,“ hielt Richard Coudenhove-Kalergi bereits 1923 in seinem Buch „Paneuropa“ unmißverständlich fest. Mit der Freiheit verbunden ist immer die Verantwortung, die Würde des Menschen, die Pflicht, nach einem gebildeten Gewissen zu handeln.
Der dauernde Kampf um die Freiheit
Mit der Reduzierung des „Paneuropäischen Picknicks“ auf seine geschichtlichen Daten (wie es in den vielen Veranstaltungen passiert, die von Ministerien, Parteien, Parteistiftungen und anderen aus Steuergeld finanzierten Organisationen durchgeführt werden), wird aber die inhaltliche Dimension vollkommen ausgeblendet. Das Ereignis wird historisiert. Dabei ist aus Sicht der Paneuropa-Union gerade die inhaltliche Dimension des Picknicks das Interessante. Erlaubt sie doch eine Reflexion heutiger politischer Maßnahmen und Zustände an einem klaren Bekenntnis zur Freiheit.
Der Eiserne Vorhang war eine Grenze, die nur unter enormen bürokratischen Hindernissen und anderen Schikanen überwunden werden konnte. Wenn wir die heutige Schengen-Grenze hernehmen, dann sind die bürokratischen Hindernisse mindestens genauso hoch. Über die Schikanen, die mit der Erteilung eines Schengen-Visums verbunden sind, machen sich die meisten EU-Bürger keine Gedanken (und schon gar nicht die EU-Politiker).
Früher eingesperrt – heute ausgesperrt
Die Nachweise bis hin zu den Einkommen der Eltern, der Arbeitsbestätigungen der Eltern, etc. etc. sind nur mehr ein quantitativer Unterschied zur einstigen Ostblockbestimmung, daß immer jemand aus der Familie als Geisel zu Hause bleiben mußte. Ja, die Frage, wer denn von der Familie da bleibt, wird auch heute manchen Visa-Werbern gestellt. Mitarbeiter der Konsulate haben die Möglichkeit Visa-Werber zu einem Interview zu laden, und dann zu entscheiden, daß der Bewerber für die Einladung (beispielsweise zu einem Kongreß) nicht qualifiziert sei. Die technischen Geräte, die heute zur Überwachung der Schengen-Grenze eingesetzt werden, würden jeden einstigen Ostblock-Machtaber vor Neid erstarren lassen. Die an den Staat abzuliefernden Daten für ein Schengen-Visum (Bürger außerhalb des Schengen-Raumes mit Visapflicht) oder einen Schengen-Reisepaß (Bürger innerhalb des Schengen-Raumes, also ein Großteil der EU-Staaten), gehen weit über die Datensammlung damaliger Inlandsgeheimdienste hinaus. Wer dem Staat seinen Fingerabdruck abliefern mußte, galt 1989 ganz eindeutig als Verbrecher. Heute müssen bereits zwölfjährige Kinder, soferne sie in der EU leben und einen Reispaß benötigen, dem Staat einen Fingerabdruck für ein EU-weites Zentralregister abliefern. Den Schießbefehl an der Grenze gibt es nicht mehr. Den Unterschied zwischen damals und heute könnte man salopp so formulieren. Damals waren die Menschen von ihren eigenen Regierungen eingesperrt, heute werden sie von den Regierungen der Schengen-Länder ausgesperrt.
Die systematische Überwachung der Telephongespräche der Bürger galt im Jahr 1989 ganz klar als Merkmal eines totalitären Staates. Zur Zeit läuft vor dem Europäischen Gerichtshof ein Verfahren gegen die Republik Österreich, weil die EU-Richtlinie zur Speicherung sämtlicher Telephongespräche noch nicht umgesetzt ist. Im sogenannten Kampf gegen den Terror werden heute Maßnahmen gesetzt, vor denen die BRD im Kampf gegen die Terrororganisation RAF noch zurückgeschreckt ist, das abschreckende Beispiel DDR galt als Mahnung für die westliche Politik. Die härtesten Forderungen nach Ausdehnung der Polizeimaßnahmen in Deutschland kommen heutzutage vom CSU-Minister Wolfgang Schäuble. Die sogenannten Sicherheitsmaßnahmen an den Flughäfen proklamieren den Generalverdacht über die Bürger.
Kinderkrippen damals und heute
Man könnte genauso Beispiele aus der Familienpolitik nehmen. Im real existierenden Sozialismus war die Politik bestrebt, Kinder möglichst früh den Eltern zu entziehen, erstens, um diese dem Produktionsprozeß zur Verfügung stellen zu können und zweitens, um aus den Kindern richtige Sowjetmenschen machen zu könnte. Perfektioniert war das System in der sozialistischen Tschechoslowakei. Forschungsergebnisse des Kinderpsychologen Zdenek Matejcek über die Defekte der in Krippen abgeschobenen Kleinkinder führten noch in realsozialistischer Zeit zu einem Umdenken in der Politik. Michael Gorbatschow rief in seinen Schriften zur Perestroika dazu auf, die Fehler zu beseitigen und die Kinder wieder in den Familien aufwachsen zu lassen. 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhanges sind es in Österreich und Deutschland die Politiker und Politikerinnen von ÖVP und CDU/CSU, die sich ganz massiv für die Betreuung von Kleinstkindern (Babies) in Kinderkrippen einsetzen, um Frauen möglichst rasch nach der Geburt wieder in den Produktions- und Steuerzahlerprozeß einzugliedern.
Schon Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts warnte Ludwig Erhard, einer der Erfinder der sogenannten „sozialen Marktwirtschaft“, vor den Auswüchsen des Wohlfahrtsstaates, den er als „unsozial“ bezeichnete, weil er „die menschliche Verantwortung erschlaffen und die individuelle Leistung absinken läßt“. Kein Staat könne seinen Bürgern mehr geben als er ihnen vorher abgenommen hat, „das noch abzüglich der Kosten einer zwangsläufig immer mehr zum Selbstzweck ausartenden Sozialbürokratie“. Zur gleichen Zeit bezeichnete Alfred Müller-Armack (damals lag die durchschnittliche Steuerbelastung um mehr als zehn Prozentpunkte unter der heutigen) die damalige Steuerbelastung als „Beschlagnahme ehrlichen Erwerbes“. Mittlerweile wird die zum umverteilenden Wohlfahrtsstaat entartete soziale Marktwirtschaft, vielfach sogar als öko-soziale Marktwirtschaft, vom politischen mainstream als „europäisches Lebensmodell“ bezeichnet, das noch weiter ausgebaut werden müsse.
Bedrohung durch totalitären Bürokratismus
Bereits in einem Nachruf auf Richard Coudenhove-Kalergi (1972) warnte Otto von Habsburg vor einem totalitären Bürokratismus. Im schon zitierten „Politik für das Jahr 2000“ schrieb er: „Die Macht hat eine neue Dimension erhalten, und dies sollte in Hinkunft das Hauptproblem jeder politischen Betrachtung sein, um so mehr, als schon die vorhandenen Mittel leicht mißbraucht werden können. Die Gefahr totalitärer Allmacht ist in unseren Tagen ungleich größer geworden, als sie es noch vor 25 Jahren war. Es liegt in der Logik der Entwicklung, daß die Zukunft immer wirkungsvollere und immer mehr verfeinerte Instrumente der Beherrschung hervorbringen wird. Und mit ihnen wächst die Bedrohung.“
Durchaus gefährdet ist auch die Wissenschaft. Damit ist jetzt nicht der Mißbrauch der Wissenschaft durch die Politbürokratie zur Rechtfertigung einer sogenannten Klimapolitik gemeint, sondern die Ideologie des gender mainstreaming als Ersatz für den Marxismus-Leninismus.
Gender mainstreaming statt Marxismus-Leninismus
„Wissenschaftliche Arbeiten“ im real existierenden Sozialismus wurden nicht angenommen, wenn nicht ein Bezug zum Marxismus-Leninismus als vorherrschender Ideologie vorhanden war. Mittlerweile beginnen Universitäten wissenschaftliche Arbeiten zurückzuweisen, wenn sie nicht gegendert sind.
20 Jahre nach dem Paneuropäischen-Picknick ist es so wichtig wie damals, die inhaltliche Dimension der damaligen Ereignisse zu betonen. Das Paneuropäische-Picknick war ein historisches Ereignis, seine Historisierung aber würde ihm nicht gerecht werden.
Ein einfacher, aber sehr aussagekräftiger Index ist das Waffenrecht.
Hier läßt sich schnellstens erkennen, welches Vertrauen Regierungen zu ihren Bürgern haben.
Und die EU hat bereits – mit braver Zustimmung der österreichischen „Volksvertreter“ – eine Waffenrichtlinie in Kraft gesetzt,
die – entsprechend gehandhabt – jedem totalitären Waffenrecht gleichkommt ..
Kommentar von Horst Reingrabner — November 3, 2009 @ 10:29 am |