Die beiden nicht mehr ganz so großen Großparteien SPÖ und ÖVP haben etwas gemeinsam: Man mag sie nicht mehr. Über viele Jahrzehnte hinweg waren die politischen Lager von größter Anziehungs- und Integrationskraft in Bezug auf ihre Wähler und Mitglieder gekennzeichnet. Sie verstanden es, eine Aura zu entwickeln, die es den Menschen ermöglichte, sich in der jeweiligen Partei zu Hause zu fühlen, selbst wenn es mal nicht so gut lief. Bei aller Kritik, man mochte seine politische Heimat. Die propagierten Werte und Ideologien boten Sicherheit und Grundlage für politische Konzepte, Antworten und Lösungen. Selbst wenn sich diese als falsch oder nicht mehr zeitgemäß herausstellten, man stand zur Partei, da man sie mochte. SPÖ und ÖVP haben es sich in dieser Situation bequem gemacht, nun sind sie fett und träge geworden und verstehen nicht, warum sie auf einmal nicht mehr gemocht werden. Nun, der Bogen wurde schlicht überspannt. Die über Jahrzehnte Sicherheit gebenden Werte wurden teils über Bord geworfen und existieren, wenn überhaupt, nur mehr als leere Polit-Sprech-Worthülsen, die keiner mehr hören will. Neue Positionen werden eher angeteasert, als angenommen, sind vielmehr als taktische Manöver zu durchschauen, denn als Weiterentwicklung. Beispiele dafür gibt es zur Genüge, so z.B. Bildungs- und Schulpolitik, oder Sicherheitspolitik. Auf der Suche der Parteien nach ihren Wählern, wurden beliebige Wege eingeschlagen, ohne zu erklären, was denn der Kompass sei. Als Ergebnis verlor man die Stammwähler, ohne neue Gruppen zu erschließen, die das alte nicht mochten und das neue nicht finden können. Der Philosoph Peter Sloterdijk nannte die heutigen Parteien einmal „erkaltete Empörungsgruppen“, also Gruppen, deren letzter Zusammenhalt nur mehr durch leere Rituale, oberflächliche Floskeln und inszenierten Empörungen gewährleistet wird.
Parteien sterben, wenn sie die Fähigkeit zur Integration verlieren. Sie müssen es schaffen, neue Personen, neue Positionen, neue Antworten auf neue Probleme bei sich zu integrieren. Nur dann können sie diese Sicherheit ausstrahlen, die sie lange Zeit so attraktiv gemacht hat. Nun sind sie häßlich, keiner mag sie mehr. Das ist das Hauptproblem, vielmehr als der Rückgang der Wähler. Denn in einem gewissen Ausmaß spiegelt dieser Rückgang nur die immer weiter fortschreitende Fragmentierung der Gesellschaft wieder. Das, gepaart mit den selbstgemachten Problemen, treibt die Bürger zu diversen neuen politischen Gruppen und Bewegungen.
Der Umgang der etablierten Parteien mit diesen gerade entstehenden neuen politischen Biotopen wird zeigen, ob sie die Zeichen der Zeit verstehen, oder endgültig in den status abeundi eintreten. Sie müssen sich, ob sie wollen oder nicht, den Gruppen öffnen, sich mit ihnen ernsthaft auseinandersetzen und versuchen zu verstehen, was deren Sympathisanten antreibt und motiviert, diese neuen politischen Wege zu gehen. Ignorieren, auslachen und bekämpfen sind die drei zeitlich aufeinander folgenden traditionellen Antworten politischer Parteien im Umgang mit dem (neuen) Gegner. Sollte diese Haltung beibehalten werden, werden aus den erkalteten Empörungsgruppen, zukunfts- und sinnlose Selbsthilfegruppen für lebensunfähige Parteifunktionäre.
Wünschenswert und notwendig wäre es für die Parteien, die eigenen Slogans und Worthülsen selber ernst zu nehmen und mit Inhalt und Leben zu befüllen. Authentisch und wahrhaftig sich den Problemen zu stellen, Dinge beim Namen zu nennen und echte Lösungen zuzulassen und anzubieten. Eigentlich simpel und in Wahrheit der eigentliche Kern politischen Denkens und Arbeitens. Dann würden sie auch wieder gemocht werden.
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